Die Zinnwalder Geisterbeschwörung
(Mitgeteilt von Max Schotte, Altenberg)
Zur Zeit der Gegenreformation gab es in Böhmisch-Zinnwald eine Anzahl Bergleute, die sich den päpstlichen Irrlehren widersetzten und sich der Seelsorge des Geisinger Pfarrers Kauderbach anvertrauen. An bestimmten Tagen hielten sie ihre Erbauungsstunden in den unterirdischen Erzgruben von Sächsisch-Zinnwald ab. Dem genannten Geisinger Geistlichen ging ein großer Ruf als Wissenschaftler voraus. So war allgemein bekannt, daß er besonders gründlichen Bescheid über das religiöse Sektenwesen und den Okkultismus (unerklärliche Erscheinungen) wußte. Er war auch imstande, das berüchtigte 6. und 7. Buch Moses zu enthüllen und konnte demzufolge Geister rufen oder bannen. Der Einwohnerschaft von Zinnwald war auch bekannt, daß Kauderbach in dem kleinen Wohnhause Nr. 28 an der „Hemme“ oft Einkehr hielt und dort seine wissenschaftlichen Bücher und auch das geheimnisvolle 6. und 7. Buch Moses aufbewahrte. Der Geistliche wurde auf seinen Dienstgängen oft von seinem ältesten Sohn begleitet. Zwischen diesem und der Einwohnerschaft bestand ein besonders herzliches Einvernehmen. Eines Tages reifte nun unter den Bewohnern Zinnwalds der Plan, die Kraft und Auswirkung des erwähnten geheimnisvollen Buches zu erproben. Sie überredeten den jungen Kauderbach, an einem Abende das Vorhaben auszuführen, und berieten dabei auch alle nötigen Vorsichts-maßnahmen, auf daß niemand dabei ein Leid widerfahren könne. Der junge Mann erklärte sich bereit, die geheime Schrift den Leuten vorzulesen und glaubte wohl selbst an keine erste Gefahr. Zur Vorsicht hatte man aber nach dem Nachbarhause verständigen, der dann sofort den Pfarrer Kauderbach aus Geising zu Hilfe herbeiholen sollte. So kam man denn an dem verabredeten Abende in der Wohnstube des kleinen Hauses zusammen. Die Teilnehmer stellten sich im Zimmer in einem Kreise auf, in dessen Mitte der junge Kauderbach seinen Platz einnahm und der neugierig gestimmten Versammlung die verfänglichen Kapitel vorlas. Eine Zeit lang war alles gut gegangen, und jedermann glaubte wohl, daß es mit der geheimen Kraft des Buches nicht weit her sein könne. Aber plötzlich tat sich die Stubentür auf und herein trat ein langer, hagerer Kerl, der einen großen Sack auf dem Rücken trug. Er setzte sich auf die Ofenbank, schlenkerte die Bürde von den Schultern und setzte den Sack mit dem klirrenden Inhalt zwischen seinen Beinen auf die Dielen nieder. Den Anwesenden lief es jetzt eiskalt über den Rücken, denn der fremde Bursche hatte etwas Unheimliches an sich und sprach kein Wort. Der junge Kauderbach faßte sich sofort und versuchte, die Kapitel der Schrift rückwärts zu lesen, was ihm aber nicht gelang. In dieser peinlichen Lage gab man nun das verabredete Klingelzeichen an den Nachbar, der sich sofort auf machte und den Pfarrer Kauderbach aus Geising zur Hilfe heranholte. Lange, bange Minuten vergingen, aber niemand wagte während der Wartezeit den Raum zu verlassen oder gar den unheimlichen Gast anzusprechen, sondern warf nur dann und wann einen scheuen Blick nach der Gestalt, die hinter dem Geldsack auf der rot angestrichenen Bank hockte. Als der gelehrte alte Mann endlich angekommen war und die Wohnstube betrat, zuckte der hagere Geselle auf der Ofenbank zusammen und grinste: „Na , wenn du schon kommst!“ Vater Kauderbach meisterte sofort die Lage; er ergriff die verhängnisvolle Schrift und las den Inhalt flott und sicher rückwärts. Da richtet sich die dürre Gestalt sichtlich widerwillig in die Höhe, warf den Geldsack wieder auf den Rücken und entfernte sich auf Nimmerwiedersehen.
Da die Anwesenden den bösen Gast vor seinem Eintritt in die Stube nicht kommen sahen und nach dem Verlassen des Zimmers ebenfalls nicht mehr bemerkten und nur ein Fauchen in dem Hausflur vernahmen, so gilt als sicher, daß der Geselle seinen Weg durch den Schornstein gewählt hatte.