Unvergessenes Kammdorf Vorderzinnwald
Vorwort
Glaubt man einer Sage um die Namensgebung des “Wolfsgrund”, so war das spätere Vorderzinnwald und die Hälfte des Dorfes Fürstenau in Sachsen, bereits um das Jahr 1000, in einem großen Waldgebiet geeint.
Tatsache ist aber das im Jahre 1297 der “Zinnberg” (Cinovec), von König Wenzel II. von Böhmen, dem Zisterzienserorden in Teplitz geschenkt worden ist und es sich dabei mit sehr großer Wahrscheinlichkeit um diese gesamte Waldfläche handelte. Dieses Ereignis ist in einer Urkunde der Bergstadt Graupen aus dem Jahre 1305 festgehalten worden.
Der Name “Zinnberg” lässt natürlich die Vermutung zu, das es in besagten Gebiet schon Zinnschürfungen oder Erzfunde gegeben haben musste und es wahrscheinlich zu dieser Zeit auch schon von Bergleuten genutzt, bzw. auch bewohnt wurde. Weiterhin soll Zinnwald, laut eines Heimatforschers aus Sachsen, schon im Jahre 1134 in der Chronik der Markgrafenschaft Meißen als “ansehnlicher Flecken mit Bäcker, Fleischer und Schmied” erwähnt worden sein, aber Beides ist leider nicht sicher nachweisbar. Deshalb überlassen wir es der Ansicht und Phantasie des Lesers, sich darüber ein Urteil zu erlauben.
Entstehung und Geschichte Vorderzinnwalds
Das genaue Entstehungsjahr ist also leider nicht konkret feststellbar, deswegen beziehen wir uns hier auf das Jahr 1378, genauer gesagt auf den 22. November diesen Jahres. Mit diesem Datum wurde der Bergflecken, das erste Mal urkundlich, bei der Versetzung des Priesters Johannes von Zinnwald nach Bernau bei Komotau, als “Zinnwald” genannt. Hierbei handelte es sich aber wahrscheinlich um Hinterzinnwald. Um diese Zeit sind auch erste Zinnabschürfungen um Zinnwald nachgewiesen.
Ob die Entstehung Zinnwalds, wie wir es heute kennen, von Vorderzinnwald oder Hinterzinnwald aus begann ist nicht konkret nachweisbar. Darüber gibt es verschiedene Auffassungen und Ansichten, die auch mit der Tatsache begründet werden, das es in Vorderzinnwald eigentlich keinen Bergbau als solchen gab und die Vorder-Zinnwalder Bergleute nach Hinterzinnwald arbeiten gingen. In unserer Betrachtungsweise gehen wir daher davon aus das Hinterzinnwald wahrscheinlich zuerst besiedelt wurde, wir überlassen es aber auch hier der Phantasie und Meinung des Lesers, darüber zu urteilen.
Fest steht aber das die Entstehung sehr eng mit dem Zinnbergbau und dem damals beinahe undurchdringlichen Wald des Erzgebirgskammes verbunden ist. Als erwiesen gilt auch das die Besiedlung, Gründung und Namensgebung von Graupen aus erfolgte. Graupener Bergleute zogen damals in Richtung Erzgebirgskamm aus, um nach neuen Erzvorkommen zu suchen, da ihre eigenen Erzgänge versiegten, was unsere Betrachtungsweise etwas unterstützt. Im Zinnwald wurden ihre Bemühungen dann belohnt und sie fanden größere Mengen zinnhaltiges Erz. Mit dem Beginn des Bergbaus entwickelte sich notwendiger Weise natürlich auch die Forst und Landwirtschaft, welche verstärkt in Vorderzinnwald betrieben wurde, daher ist es also auch durchaus möglich das hier die ersten Bergleute siedelten und nur auf Hinterzinnwalder Gebiet arbeiteten.
(näheres hierzu ist in der Kategorie Sagen zu finden: Der Schacht zu den wunderlichen drei Köpfen in Zinnwald)
Die Bewohner Vorderzinnwalds hatten einen schweren Alltag und große Probleme mit der rauhen Gebirgslandschaft zu bewältigen. Das rauhe Klima, die extrem langen, eisigen und harten Winter, der damals noch von gefährlichen wilden Tieren bewohnte und schier undurchdringliche Wald dürften ihnen arg zugesetzt haben.
Sie schafften es aber schließlich mit ihrer Arbeit diese rauhe Umgebung bewohnbar zu gestalten, zu überleben und gründeten das Kammdorf Vorderzinnwald.
Kirchengeschichte Vorderzinnwalds
Die Kirchengeschichte spielte in Zinnwald eine entscheidende und sehr wesentliche Rolle, die Entwicklung der Kirche, die damit verbundenen Glaubensrichtungen prägten und veränderten den Ort grundlegend, daher kommen wir wir hier nicht umhin kurz darauf einzugehen.
(näheres hierzu ist in der Kategorie Geschichtsdaten zu finden: Kirchgenschichte
Bis in das 1500 Jahrhundert besaßen und nutzten Vorderzinnwalder und Fürstenauer eine gemeinsame Kirche in Fürstenau. Diese ging den Vorderzinnwaldern aber im Jahr 1539, bei der Neufestlegung der Grenze zwischen Böhmen und der Markgrafenschaft Meißen, verloren. Die Kirche in Fürstenau wurde damals evangelisch. (Wahrscheinlich ist bei der Neufestlegung auch ein Teil von Vorderzinnwald “Der Butterwinkel” gegen Bad Elster im Vogtland eingetauscht worden.)
Böhmisch – Zinnwald war, nachdem 1517 die lutherische Reformation in Wittenberg ihren Anfang nahm, bereits 1575 fast nahezu komplett protestantisch. Das Festhalten am protestantischen Glauben sollte nach dem 30jährigen Krieg aber nicht ohne Folgen bleiben. Böhmen kehrte nach dem Krieg zum katholischen Glauben zurück und infolge harter Glaubensgegensätze ging bereits 1671 ein Teil der Bewohner ins benachbarte Sachsen und gründete dort das Dorf Alt-Georgenfeld. Die Gegenreformen gipfelten in Böhmisch – Zinnwald im Dezember 1728 mit der Ausweisung weiterer 800 evangelischen Bewohner. Ihrer Heimat und Habe beraubt fanden sie Hilfe auf der sächsischen Seite, es entstand eine weitere Häuserreihe und Neu-Georgenfeld war geboren.
Vorder-Zinnwald erhielt 1887 die eigens für den Gnadenaltar “Maria Heimsuchung” errichtete Wallfahrtskapelle “Marienkapelle”. Der Altar wurde in diese, unter feierlichem Geleit, am 01.11.1887, aus Fürstenau überführt, nachdem sich die sächsische Königin Carola dafür eingesetzt hatte.
In die Kapelle kamen seither immer am 02. Juli (Maria Heimsuchung) und dem darauffolgenden Sonntag viele Wallfahrer aus nah und fern. Auch feierten die evangelischen Fürstenauer und die katholischen Vorderzinnwalder über viele Jahre hinweg gemeinsam das Fest “Maria Heimsuchung”.
Das Leben in Vorderzinnwald
Vorderzinnwald war eine Streusiedlung in der fast jede Familie ein Haus, etwas Feld und Vieh besaß. Die Bewohner waren überwiegend Bergleute, Holzfäller, Handwerker und einige Wenige bestritten ihren Lebensunterhalt auch als Bauern. Da die Anbaubedingungen in Vorderzinnwald sehr schwierig waren, betrieben die meisten Bewohner die Landwirtschaft aber nur nebenbei, damit war dann aber meist auch die gesamte Familie beschäftigt. Die geeignetsten Flächen für die Aussaat lagen in Sachsen, gehörten aber größten Teils Bewohnern aus Vorderzinnwald. Aufgrund der Gebirgslage und des rauhen Klimas war es aber auch da sehr schwierig beispielsweise Getreide anzubauen, da nur wenige Monate schneefrei und somit landwirtschaftlich nutzbar waren. Deshalb wurden mit der Zeit verstärkt Wiesen angelegt und Rinderzucht betrieben, um die Milchprodukte auf umliegenden Märkten zu verkaufen.
Der Wald in Vorderzinnwald gehörte größtenteils dem Fürsten Clary. Viele Familien fanden, neben dem Bergbau, in der Forstwirtschaft gesicherte Einkommen und die Waldarbeiter, Holzfäller oder Holzfuhrleute waren meist auch lebenslang dort beschäftigt. Die Frauen und teilweise auch die Kinder waren, neben der Hausarbeit, vielmals im Stall und auf dem Feld beschäftigt, während ihre Männer im Berg nach Zinn schürften oder im Forst ihre Arbeit verrichteten. Saisonweise waren die Frauen aber auch als Baumpflanzerinnen, Beerensammlerinnen und Pilzsammlerinnen im Forst beschäftigt.
Aufgrund der harten, schweren und langen Winter in Vorderzinnwald konnten die Bewohner in den Wintermonaten meist nicht ihrer eigentlichen Arbeit nachgehen. In dieser Zeit beschäftigten sie sich beispielsweise mit Bastflechten, Papierblumen anfertigen und anderen Heimarbeiten. Auch die Kinder beteiligten sich am Flechten und verdienten sich so ein geringes Zubrot, das auch mit für die meist vielköpfigen Familien verwendet wurde. Wenn es das Wetter zuließ wurde der Winter natürlich auch zum Ski- und Schlittenfahren genutzt.
1878 begann man mit dem Bau einer Volksschule in Vorder-Zinnwald, die am 6.2.1879 als „Winterschule“ eingeweiht wurde. 1888 erlangt die einklassige Schule in Vorder-Zinnwald mit einer festeingestellten Lehrkraft Selbstständigkeit. Nach Zeitzeugenaussagen mussten die Vorder-Zinnwalder Kinder bis dahin nach Hinter-Zinnwald zur Schule gehen. Der Schulbetrieb der einklassigen Volksschule endete mit dem Einmarsch der Russen 1945.
Neben der einklassigen Volksschule besaß Vorder-Zinnwald im Laufe der Jahre auch mehrere Vereine.
Vereine in Vorderzinnwald
Landwirtschaftlicher Verein Vorderzinnwald Der Verein war weit über seine Ortsgrenzen bekannt und genoss einen ausgezeichneten Ruf, die Aktivitäten beruhten auf Gegenseitigkeit bei der Unterstützung landwirtschaftlicher Arbeiten (Notschlachtungen, Ernteinsätze, usw.). Auch Landwirte aus Hinterzinnwald wurden als Mitglieder aufgenommen. Deutsche Skigilde Vorderzinnwald 1932 gegründet, war es das Ziel des Vereins möglichst viele Anhänger für den Skisport zu gewinnen. |
In Vorderzinnwald war gegenseitige Hilfe in Notsituationen selbstverständlich und es entwickelte sich ein fester Zusammenhalt, der heute noch in Zinnwald spürbar ist. Schon früh zeichnete sich auch ein reger Tourismus durch Sommerfrischler und Wintersportler ab.
Mit wachsendem Interesse der Touristen entstanden drei Gastwirtschaften, vier Wochenendhäuser und eine Herberge. Ein Heim der NSV existierte zu Zeiten des Dritten Reiches ebenfalls in Vorderzinnwald.
Bei den Gastwirtschaften handelte es sich um die “Sächsische Schweiz” (später Sportheim), das “Gebirgsvereinsheim” und die “Grüne Wiese”, in dieser war auch der einzige Lebensmittelmarkt Vorderzinnwalds und alle drei besaßen auch Fremdenzimmer.
Die spätere Herberge, das Hegerhaus, wurde 1920 von Fürst Clary an die Naturfreunde verkauft und besaß nach dem Ausbau ca. 60 Schlafplätze. (Die Abbildung zeigt das Naturfreundehaus)
Vorderzinnwald besaß ab 1902, dem 06.04.1902, auch eine eigene Freiwillige Feuerwehr die im selben Jahr auch ein Spritzenhaus gebaut bekam. 1909 kam dann auch noch eine Damenfeuerwehr dazu, die sich besonders vor dem 1. Weltkrieg bei zahlreichen Blitzeinschlägen bewährte, sie wurde aber nach dem Krieg aufgelöst.
Lage
Das Dorf Vorderzinnwald liegt (bzw. lag) 800 m hoch auf einer Hochebene des Erzgebirgskammes, im Böhmischen Teil von Zinnwald, dem heutigen tschechischen “Cinovec” (Zinnberg) und gehört dem Kreis Teplitz – Schönau an. Es ist ca. 2 km östlich von Hinterzinnwald, in Richtung Maria-Schein gelegen und existiert seit dem Ende des zweiten Weltkrieges leider nicht mehr.
Vertreibung und Untergang
Nach Kriegsende im Mai 1945 waren die Bewohner Plünderungen durch die Russen ausgesetzt und auf Anweisung der damaligen tschechischen Regierung sollte, nach den erlittenen Qualen und Verlusten durch Nazideutschland, alles Deutschtum raus aus dem Land. Infolgedessen wurden auch zahlreiche Menschen aus dem Land vertrieben, in Zinnwald traf dies bereits im Mai und Juni 1945 die ersten Bewohner Böhmisch – Zinnwalds. In Vorderzinnwald wurden bis 1948 alle ca. 250 Bewohner aus ihrer Heimat vertrieben und sie verloren ihr gesamtes Hab und Gut. Mit organisierten Transporten wurden sie mittellos abtransportiert und mussten sich fern der Heimat, nahezu ohne Hilfe eine neue Existenz aufbauen.
Ihr Heimatort Vorderzinnwald wurde nach der Vertreibung dem Erdboden gleichgemacht, das heißt die damals 54 Häuser und die Wallfahrtskirche wurden abgerissen, bzw. gesprengt und der komplette Ort wurde eingeebnet.
Heute erinnern nur noch vereinzelte verfallene Gebäudeteile und noch existierende Fundamente an den ehemals blühenden Ort. Wo einst ein reges Gemeinleben herrschte und dichter Wald gen Himmel ragte, ist heute leider nur noch ödes, mit spärlichen Sträuchern bewachsenes Bergland zu finden, indem der Wald abgestorben und fast gänzlich vernichtet worden ist. Als Anhaltspunkt für Vorderzinnwalds Lage kann man heute die Pfarrhöhe bei Fürstenau nehmen, der Grenzverlauf und die Kammstraße stellen sozusagen den Ortsverlauf dar.
Wir widmen besonders diesen Bericht unseren Ahnen, den Opfern der Kriege
und allen aus ihrer Heimat vertriebenen Zinnwaldern.
“Nie wieder Krieg, nie wieder Vertreibung!”