Das wandernde Haus in Zinnwald

Das wandernde Haus in Zinnwald
(Gräße, Ziehnert usw.)

In dem sächsischen Anteile des Bergfleckens Zinnwald steht ungefähr 50 Schritte von der Grenze ein kleines hölzernes, von einem Bergmann bewohntes Häuschen, an dessen hinterem Deckenbalken in der Stube folgender Vers eingeschrieben ist:
Ich bin nun auf Sachsen Boden, Gott lob,
weil mich mein Wirth, Hans Hirsch, aus Böhmen rüberschob. (1721)
Hermit hat es folgende Bewandtnis: Als in den Jahren 1716 bis 1728 die protestantischen Einwohner Böhmens ihres Glaubens wegen beunruhigt wurden, wanderten viele in das benachtbarte Sachsen aus, unter anderen auch ein armer Bergmann, Namens Hans Hirsch. Weil dieser aber sein nahe der Grenze stehendes Häuschen nicht gern zurücklassen wollte, hat er dasselbe mit Hilfe seiner Freunde und Nachbarn des Nachts auf Walzen gesetzt und glücklich nach Sachsen herüberpraktiziert und zum Gedächtnis obigen Vers in die Stubenecke eingeschnitten.
(Das vielfach beschriebene und bekannte „wandernde Haus“ in Zinnwald ist ein Opfer des Weltkrieges geworden. Beim Schlackengraben ist es samt der Halde, worauf es stand, verschwunden. In den Mitteilungsheften des Landesvereins Sächs. Heimatschutz vom Jahre 1918 habe ich ihm einen Nachruf gewidmet und sein Bild veröffentlicht. Nach öfterer Besichtigung des Häuschens und seiner Umgebung habe ich mir freilich schon vor Jahrzehnten eine ganz andere Erklärung des Wanderns zurechtgelegt. Ich nehme an, daß der schlaue Hans Hirsch in einer verschwiegenen Nacht der Gegenreformationszeit einfach die Landesgrenze etwas nachgebessert und die Grenzsteine versetzt hat. Die Landesgrenze ist gerade an dieser Stelle besonders scharf ausgezackt; sie mag sich früher geradlinig hingezogen haben, so daß das Haus auf böhmischem Gebiet stand. Flurkarten, die diesen Eingriff in das Staatsgebiet aufgeklärt hätten, sind damals sicher noch nicht vorhanden gewesen, auch wußte wahrscheinlich Hans Hirsch nichts davon, daß er mit der Veränderung des Staatsgebietes ein Verbrechen beging, auf das zu damaliger Zeit die Todesstrafe stand und das bis heute noch, wenigstens in Deutschland, nach § 81,4 des Strafgesetzbuches mit lebenslänglicher Zuchthausstrafe bedroht ist. Die Sache ist verjährt, Hans Hirsch ist tot, und das Häuschen ist abgebrochen; mag wenigstens die Sage weiterleben, obwohl sie nun gegenstandslos geworden ist.)

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